Borstel, der Frischling vom Eichwald by Lothar Streblow

Borstel, der Frischling vom Eichwald by Lothar Streblow

Autor:Lothar Streblow
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2018-06-20T00:00:00+00:00


Am Windbruch

Als gegen Abend das Gewitter endlich nachließ und der Donner nur noch wie ein fernes Grollen über die Wälder hallte, schob sich die Bache aus der Dickung. Jetzt bestand keine Gefahr mehr für ihre Kinder. Auch der Regen hatte aufgehört; nur von den Bäumen tropfte es noch. Und vom Berghang rannen schmale Rinnsale ins Tal.

Die Bache wandte sich hangabwärts. Und sie schien es sehr eilig zu haben. Borstel konnte mit Silli kaum folgen. Auch die anderen hatten einige Mühe, vor allem die Verletzten. Doch Borstels Mutter grunzte nur ungeduldig. Sie wollte ihre Rotte Zusammenhalten.

Borstel spürte den Schmerz an ihrem Rüssel. Zwar blutete der Riß nicht mehr, aber die Wunde war noch nicht geschlossen. Wenn sie damit am Unterholz entlangstreifte, tat es sehr weh. Und ausweichen konnte sie nicht immer. Außerdem bekam sie allmählich Hunger. Zur Futtersuche aber blieb keine Zeit.

Inzwischen hatte die Rotte den Windbruch am Waldrand erreicht. Über den umgebrochenen Fichtenstämmen ragten nur noch zwei sturmzerzauste, nadellose Wipfel in den grauen Himmel. Und jenseits des Waldrandes bewegte sich etwas.

Plötzlich verharrte die Bache, nahm Witterung auf und lauschte. Ein kurzer Warnlaut scheuchte die Rotte in Deckung. Dann ging sie vorsichtig, mit steil erhobenem Pürzel, weiter. Sie wollte wissen, ob eine Gefahr drohte. Hier roch es nach Menschen. Diesen Geruch kannte sie. Und sie kannte die Menschen, aus langer Erfahrung, konnte harmlose Waldarbeiter und friedliche Spaziergänger von Gewehre tragenden Jägern genau unterscheiden. Diese Menschen hier waren keine Jäger. Es war der Förster mit ein paar Gehilfen.

In diesem Augenblick warnte der Hund des Försters seinen Herrn. Der Förster hob kurz sein Fernglas, sah die Bache. Und er winkte seinen Leuten, ihm zu folgen. Aber sie gingen nicht sehr weit, nur bis zum Bachufer.

„Schade“, sagte einer der Gehilfen. „Wenn die toten Frischlinge erst im Magen der Sau gelandet sind, werden wir sie wohl kaum mehr näher untersuchen können.“

Der Förster schüttelte den Kopf.

„Falls die Frischlinge zu ihrer Rotte gehörten, wird sie mit Sicherheit nicht drangehen. Wildschweine fressen keine Familienmitglieder, nur fremde Tiere.“

„Und was jetzt?“ fragte ein anderer.

„Abwarten“, sagte der Förster ruhig.

Die Bache hatte sich inzwischen von der Harmlosigkeit der Menschen überzeugt. Und die Entfernung zu ihnen genügte ihr. Schnüffelnd näherte sie sich dem Windbruch, durchstöberte das Bruchholz. Unter einem Fichtenstamm halb begraben entdeckte sie Lor. Er atmete nicht mehr. Auch die beiden Frischlinge der anderen Bachen lagen zerschmettert unter geborstenen Ästen. Langsam wandte sie sich ab und kehrte zurück zu der Deckung, wo die Rotte wartete.

Borstel lag mit Silli, Lim, Rini und Kurf bei Lums und den anderen Frischlingen der jüngeren Schwester ihrer Mutter. Von fern hörte sie die Stimmen der Männer. Es war das erste Mal, daß sie Menschenstimmen hörte: seltsame Geräusche, fremd und unvertraut. Sie wußte noch nicht, daß diese Stimmen auch Gefahr bedeuten konnten. Sie war nur neugierig.

Die Stimmen wurden lauter, die Männer kamen wieder näher. Äste knackten. Und jemand sagte:

„Es sind drei. Drei Frischlinge. Und genaugenommen sind sie Opfer des sauren Regens, wie die Bäume. Es war einfach Pech, daß die Sturmböe sie gerade unter den stark geschädigten Fichten traf.



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